Und ach, am Freitag V

Gibt es irgendetwas traurigeres als weinende Familien auf Tierarztparkplätzen? Keine Sorge, meinem Mini-Malteser Georg geht es gut. Wir kommen von einer Routine-Untersuchung. Es stellt sich heraus, dass er eigentlich eine Katze ist – aber das geht hier eh unter. Zwischen der ganzen Aufregung über zuckersüße Hundewelpen oder darüber, dass man anscheinend ernsthaft Igel, Waschbären, ja sogar Otter halten darf, sind Tierarztpraxen vor allem Tempel der Vergänglichkeit. Hier schafft es der kleine, blinde Waldi nicht mehr, da versagen die Nieren von Kitty. Ganze Wallache werden hier mit Überdosen an Betäubungsmitteln gestürzt.
Wir Haustierbesitzer wissen um die Ungerechtigkeit der Vergänglichkeit. Während vollkommen überschätzte Lebewesen wie Schildkröten und Menschen 70 oder 100 Jahre alt werden können, schaffen unsere Hunde (bzw. ja offenbar Katzen) nur um die 13 Jahre. Zu sterben, nur weil man der falschen Spezies angehört, ist in etwa so bitter, wie sich nach mehreren erlebten Revolutionen, Firmenaufstiegen und -enden sowie einem überbordenden dichterischem Lebenswerk in Kuba zur Ruhe zu setzen, um da dann mit 34 an Malaria zu sterben. Sie wissen oder ahnen es: Das ist Georg Weerth passiert.
Nun ist Weerths Werk nicht das einzige, was mir erst der Heimarrest einer Pandemie zuführen mochte. Auf Druck meiner gesamten Generation sah ich Lin-Manuel Mirandas Musical „Hamilton“ (bestimmt 15 mal mittlerweile). Dieses Musical schält zu seinem Ende drei zentrale Fragen heraus: Who lives? Who dies? Who tells your story?
Zwei davon lassen sich zynisch, aber schnell beantworten: Wer lebt? Alle. Ein Großteil der Menschen, die wir kennen, hat entweder gelebt oder tut es noch. Wer stirbt? Auch alle. Ein Großteil, der Menschen um uns herum ist entweder schon gestorben oder wird es noch.
Das bringt uns aber zum Knackpunkt: Wer erzählt unsere Geschichte? Denn mit jemandes Geschichte geht eine unschätzbare Verantwortung einher. Stellen Sie sich vor, Sie erzählen die Geschichte eines Hundes und merken erst im letzten Fünftel, dass er eine Katze ist! Stellen Sie sich vor, Sie stoßen auf eine bizarre Politkolumne und erzählen ihren Freunden davon, nur um dann festzustellen, dass sie auf lediglich fünf Beiträge begrenzt ist! Gerne hätten Sie gewusst, was es noch zu sagen gibt, was diesem Geist noch entsprungen wäre, aber plötzlich ist Schluss.
Über Georg Weerth, wie Georg Weerth, in Gedanken an Georg Weerth zu schreiben, ist eine zu große Aufgabe für eine Person. Daher bin ich sehr dankbar für das erlesene Kollektiv hinter Weerth200, die Möglichkeit, hier eigene Gedanken und Unsinn zu formulieren, vor allem aber für all jene, die nicht müde werden, von diesem bemerkenswerten Detmolder Schriftsteller und Dichter zu lesen und zu erzählen.
Jann Wattjes