Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski – VI.Brüssel

By 7. April 2022April 17th, 2022Hörstelle
Erschienen in der Neuen Rheinischen Zeitung Nr. 95 vom 6. September 1848.
»Das Renkontre« bis Kapitelschluss fehlt in der N. Rh. Z. Der Erstdruck brachte dagegen folgenden Text, der wohl wegen seiner frechen Bosheiten gegen die deutsche Gsandtschaft in Brüssel in der Buchausgabe von Campe und Weerth geopfert wurde:
»Wie es aber in den Träumen geht, so geht es auch in der Liebe; wenn man gerade im besten Zuge ist, da kommt gewöhnlich etwas dazwischen, so daß man auf tausend und aber tausend Dinge gerät, nur nicht auf das, was man zunächst im Auge hatte. Herr von Schnapphahnski hatte das Pech, statt auf die Frau, auf den Portier des Gesandten zu geraten.
Wir müssen unsern Lesern nämlich bemerken, daß es bei der *** Gesandtschaft in Brüssel Sitte ist, die Besuchenden in ein Zimmer zu führen, welches eben nicht nach Rosen und Veilchen duftet, sondern welches den wahren Dunstkreis eines wohlgenährten, gesandtschaftlichen Lakais führt. Die Wände des Wartesaales sind früher weiß gewesen und mit einigen erbärmlichen Porträts geschmückt. Auf dem Haupttische steht ein Service blaugeblümter Tassen; ihm gegenüber bemerkt man auf einem kleinen Bücherbrett eine Bibel, ein Gesangbuch und mehrere fromme Schriften der schlimmsten Sorte. Der Ofen ist in sehr desolaten Umständen und wird zu allen möglichen Haushaltungszwecken benutzt. Das halbe Dutzend Stühle, welches die Seite des Gemaches ziert, ladet eben nicht zu Sitzen ein. Jeder dieser Stühle ist eine Pritsche, und geduldige Landsleute, die lange auf das Visa ihre Passes warten mußten, haben mir schon versichert, daß sie auf diesen Stühlen einen rechten Vorschmack aller Leiden des Fegefeuers bekommen hätten.
[…]
Ich muß gestehen, es wurde mir immer höchst traurig zumute, wenn mich die eherne Notwendigkeit in diese treffliche Behausung trieb. Erschien aber erst der Herr Lakai in eigener Person, um mir mit seinen schmutzigen Strümpfen, mit seinen unflätigen Schenkeln und mit dem dummen Grinsen eines faulen Domestiken vor der Nase herumzuspringen oder gar in meiner Gegenwart seinen Schnurrbart zu wischen: da brach ich nicht selten in Flüche und Verwünschungen aus, daß unsere guten Bauern und Bürger nur dafür ihre ewigen Steuern bezahlen müssen, daß man im Auslande von seinem Gesandten wie ein Vagabund behandelt wird. Die englische Gesandtschaft hat ein anständiges Zimmer für die Besuchenden in Bereitschaft; der französische Gesandte läßt jeden in das Zimmer der Gesandtschaftssekretäre führen; nur ein *** Gesandter darf es wagen, die ‘Kinder seiner großen Nation’ zwischen blaugeblümten Tassen, Betten, Kämmen, Stiefeln, ja, in den ganzen übelduftenden Kram des Bedientenzimmers zu platzieren.
Aus Versehen wurde auch Herr von Schnapphahnski einst in dieser Loge empfangen, und als wohlerzogener Edelmann versetzte er dem Lakaien Sr. Hochgeboren auch sofort einen derartigen Fußtritt, daß der arme Teufel vor wollüstigem Schmerz alle Klagelieder Jeremiä anstimmte und den heiligen Schwur tat, diesen Gruß rächen zu wollen, koste es sein Leben.
Ein Portier kann ein höchst unangenehmer Feind sein, namentlich, wenn man in einem Hause auf Liebesabenteuer ausgeht. Der Portier der *** Gesandtschaft hatte sich längst von den zärtlichen Gelüsten des edlen Ritters überzeugt. Er fühlte den Tritt unseres edlen Helden noch nach Wochen; er dachte daran, Gleiches mit Gleichem zu vergelten; er glaubte, daß die eine Ehre der andern wert sei, und ehe vierzehn Tage herum waren, fand er auch schon Gelegenheit, die besondere Aufmerksamkeit des Attachés der *** Gesandtschaft auf den edlen Ritter zu lenken.
Der gekränkte Portier wußte sehr gut, was er tat. Er hatte in irgendeinem Romane gelesen, daß von einem eifersüchtigen Nebenbuhler weit mehr zu erwarten ist als von einem frommen Ehemanne, und er hatte schon seit einiger Zeit bemerkt, daß der jugendliche Attaché, dessen romantisch-schrecklichen Namen wir wohlweislich verschweigen, ja, daß dieser unternehmende Held nicht weniger für die Frau Gesandtin schwärmte als unser Ritter.
Herr von Schnapphahnski geriet jetzt wirklich in ein höchst gefährliches Kreuzfeuer. Mit drei unversöhnlichen Feinden war der Kampf zu beginnen. Zuerst hatte er mit dem frommen, würdevollen Ehemann zu tun, dem es leise schwante, daß er eines Morgens einen sehr beunruhigenden Anblick vor seinem Spiegel erleben werde. Der zweite Gegner war der Attaché, der alle historischen Erinnerungen seiner Familie im Kopfe trug und für sein Leben gern die Romantik seines Hauses fortgesponnen hätte. Der dritte Stein des Anstoßes bestand in dem Portier, und wir brauchen wohl nicht zu versichern, da er sich täglich und stündlich darin übte, irgendeinen seiner untergeordneten Kollegen, den Stall- oder den Laufburschen, zur Tür hinauszuwerfen und ihm versuchsweise einen derben Tritt nachzuschleudern. Wochen verstrichen indes noch, ehe der Streit entschieden werden, ehe der zärtliche Gatte seinem Zorn, ehe der Attaché seiner Liebe und ehe der Lakai seiner Rache freien Lauf lassen sollten.
Doch was aufgeschoben war, es war nicht aufgehoben. Der edle Ritter gab durch seine eigene liebenswürdige Frechheit zu dem bevorstehenden Skandal Veranlassung. Vergebens haben wir nach allen Details der endlich hereinbrechenden Katastrophe geforscht. Trotz der wahrhaft liebevollen Sorgfalt, mit der wir uns um alle Einzelheiten der Schicksale unseres Helden bekümmern, konnten wir doch den nächsten Grund der lange vorbereiteten Zerwürfnisse nicht herausbringen.
Nur so viel sei gewiß, daß eines Tages in dem Hotel des Gesandten ein Lärm begann, als nahe die Erstürmung Jerichos, als komme der Jüngste Tag. Der Herr Gemahl brüllte wie ein Hirsch in der Brunstzeit, der Herr Attaché erinnerte unsern Helden an O. in Schlesien, an die nassen Sacktücher von Troppau, an das Archiv des Garderegiments, an die Diamanten der Tänzerin, und der Portier endlich reckte seine Glieder in so drohender Weise, daß unserm Ritter der Angstschweiß aus allen Poren brach und daß er nicht zum ersten Male in seinem Leben an einen ehrenvollen Rückzug dachte.
Doch ach, die Unsterblichen hatten es anders beschlossen. Der ehrenvolle Rückzug unseres Ritters sollte viel zu wünschen übriglassen. Einige gute Brüsseler, die gerade an dem Hotel des Gesandten vorüberkamen, erzählten nämlich, daß die große Porte cochère plötzlich mit Eklat geöffnet worden und daß ein sehr netter Mann mit schwarzem Schnurrbart und von angenehmem Äußern so beunruhigend schnell auf die Straße hinausgepurzelt sei, daß er sich kaum auf seinen zierlichen Beinen habe halten können und nur mit Mühe einer Umarmung des Straßenpflasters entgangen wäre.
Ja, wenn man der Aussage eines gewissen Zeugen glauben darf, so soll der Portier der Gesandtschaft den Flüchtigen schließlich noch mit einer höchst unsanften Berührung an jenen Ort beglückt haben, den die Natur mit so unendlich zweideutigen Reizen zierte, daß ich es wirklich meinen Leserinnen überlassen muß, aufs leisteste darüber zu erröten und ihre holden Gesichter zu verbergen in den schneeweißen Händen.
Genug, der edle Ritter sah ein, daß ihm in Brüssel keine Rosen sprießen würden. Seine Memoiren waren fast vollendet; er reiste ab.
Zunächst finden wir ihn in Aachen. Tiefsinnig sitzt er auf dem Grabe Karls des Großen und spielt Roulette.«

 

(aus: Georg Weerth, Sämtliche Werke, Bd. 4, Hrg. Bruno Kaiser, Aufbau-Verlag 1957