Interview mit Phil Meyer – Phil Solo

By 15. Februar 2022Tagebuch

Der Song/Sound des „Gastarbeiters”

Phil, Sie sind DER Liedermacher, Singer-/Songwrighter in Detmold und spielen – so heißt es auf ihrer Website – akustisch charmanten Indierock auf Deutsch und Englisch. Seit vielen Jahren sind Sie mit eigenen Songs und einem unverwechselbaren Faible für Sprache und Farben unterwegs, demnächst auch beim Festakt anlässlich des 200. Geburtstags von Georg Weerth zu erleben. Phil Solo und Weerth? Indierock und Literatur des 19. Jahrhunderts? Wie geht das zusammen?

Als Singer und Songwriter sind mir das Zusammenspiel von Musik und Text als eine Art von Katharsis sehr wichtig. Mit der Musik kann man Eindrücke verarbeiten und die Seele freispielen. Die Texte sind Poesie. So war das bei Weerth auch schon damals, der seine Eindrücke durch Texte verarbeitet hat. Dies verbindet.

Für das Weerth-Projekt haben Sie einige Gedichte von Weerth vertont. Darunter ist auch das „Gebet eines Irländers”, das am 15. Juni 1848 in der Neuen Rheinischen Zeitung veröffentlicht wurde. Warum ausgerechnet das „Gebet eines Irländers”?

Ich habe eine starke Affinität zu Irland und England. Ich liebe die irische und englische  Musik. In beiden Ländern spiele ich viele Gigs. Das Verhältnis zwischen den Iren und Engländern hat mich schon immer interessiert. Weerth hat dies damals sehr gut beobachtet.

Gebet eines Irländers

Sankt Patrick, großer Schutzpatron,
Du sitzest auf dem warmen Himmelsthron;
O sieh mich an mit freundlichem Sinn,
Dieweil ich ein armer Paddy bin. 

Sankt Patrick, sieh, die Nacht kommt bald,
Von England weht es herüber so kalt.
O blicke auf meinen schäbigen Frack
Und auf meinen löchrigen Bettelsack. 

Sankt Patrick, thu’, was dir gefällt,
So groß und so schön ist ja alle Welt;
O laß mich werden, was du willt –
Nur bleiben nicht solch’ ein Menschenbild.

O laß mich werden ein Blümlein blau,
Dann mag ich trinken den kühlen Thau.

O laß mich werden ein braunes Reh,
Dann kann ich fressen den grünen Klee. 

O laß mich werden ein stolzer Bär,
Dann geh’ ich im warmen Rock daher.
O laß mich werden ein schöner Schwan,
Dann wohn’ ich auf Strom und Ocean.

O mach’ aus mir einen Panther wild!
Einen Leu! daß hoch meine Mähne schwillt.
Einen Tiger! auf daß ich manch reichen Tyrann
Mit rasselnden Tatzen zerreißen kann! –

Doch, Patrick, ach! taub bleibt dein Ohr;
Der Paddy bleib’ ich wohl nach wie vor.
’s bleibt Alles wie sonst und die Nacht ist kalt,
Und der Dan O’Connell wird dick und alt.

Weerth nimmt in seinem Gedicht die unhaltbaren Zustände auf, die er während seiner Studien in England erlebt hat: In einem der Briefe an seine Mutter schreibt er 1843: „Bradford liegt in der Grafschaft Yorkshire, hat 60.000 Einwohner, ist mit schmutzigen Straßen versehen, am Berge gelegen, und alle Häuser sind schwarz von Kohlendampf, denn dieser wogt beständig durch die Straßen. Wohin man blickt: rauchende Schornsteine, Eisenhütten usw.! – Von dem Gipfel des Berges, wo die Häuser aufhören, blickt man in ein schönes Tal – leider aber auch voll von Rauch, Nebel, Dampf und Fabriken. Es ist schrecklich, sage ich Dir …”

Zu diesen Beobachtungen gehörte auch, die Iren als Billiglohnarbeiter zu identifizieren. Damals strömten sie als „cheap labour“, als billige Arbeitskräfte, zu Hunderttausenden nach England – die ersten Gastarbeiter Europas. Dreckarbeiten verrichtende Hungerleider. 

Paddy, verelendet und verkommen, erfleht in Weerths Gedicht von seinem Namenspatron, er möge sich einer erbarmen, ihn nicht Mensch bleiben lassen, sondern mit der Natur eins. Die Tiere etwa, die Paddy zu werden wünscht, werden von Gestalt immer größer und kulminieren schließlich im Bild des Tigers als Metapher des Aufstands. Revolutionärer Eifer, der letztlich, von St. Patrick unerhört, verhallt.

 

Diese Aussichtslosigkeit, sich in die Gefühlswelt der Gastarbeiter zu versetzen und die Musik mit ihrer Geschichte zu füllen … legen Sie damit Ihr Herz in die Waagschale für den „Paddy”? 

Auf jeden Fall. Es ist immer wichtig auf Missstände aufmerksam zu machen. Das Verhältnis zwischen Iren und Engländern ist immer schon ein Besonderes. Sie haben ihre schwierige Geschichte, aber gehören trotzdem zusammen. Das merkt man besonders an der Musik. Viele Iren orientieren sich an der englischen Szene, und wiederum viele englische Bands assimilieren den irischen Folk in ihrer Musik. Hier besteht eine besondere Verbindung, die frei von Politik ist. Es ist ein gutes Zeichen dafür, dass Musik die Menschen zusammenbringt und ein Botschafter des Friedens ist. 

Weerth, John Lennon und Detmold haben dies gemeinsam: Denn als Botschafter des Friedens sagt es schon John Lennon in „Imagine“ und in seinem früheren Song „The Luck of the Irish“, in dem er dort auch auf die Missstände der Iren aufmerksam macht und für Frieden wirbt. Genau dies tun die Musiker mit diesem Projekt am 17. Februar auch.

 

Mit Ihrer Vertonung versehen Sie „alte Worte mit „neuen Klängen. Aber ist das Thema überhaupt alt? 

Dieses Thema ist immer noch hoch aktuell. Man sieht es zum Beispiel gerade ganz stark an Olympia in Peking und der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Denn zum Beispiel sind mehr als 6.500 Gastarbeiter, vorwiegend junge Männer, in Katar verstorben, seitdem das Wüstenemirat im Jahr 2010 den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußball-WM 2022 erhalten hat. Das ging im Februar 2021 aus einem Bericht der britischen Tageszeitung „The Guardian“ hervor. So etwas darf nicht passieren.

 

Bauen Sie mit dem „Gebet eines Irländers”, einem vor 170 Jahren von Georg Weerth aufgegriffenen Thema, eine Brücke in die Gegenwart? Singen von Ausgrenzung, von schwerer Arbeitsbedingung und der Sehnsucht von Menschen nach einer Heimat? Von Ängsten, Wünschen, Emotionen …?

Genau dies ist der Punkt. Wir bauen eine Brücke zwischen Weerth und der Gegenwart. Mit Musik verarbeiten wir Dinge, spülen die Seele frei und wecken Emotionen. Musik verbindet und bringt die Menschen zusammen. Das merkt man besonders bei Konzerten. Bei meinen Gigs bin ich immer besonders im Austausch mit meinem Publikum. Es fühlt sich dann an wie eine große gemeinsame Band. Gerade zu dieser Zeit ist Musik besonders wichtig. Sie umarmt uns und bringt uns zusammen.