Ein Abenteuer in Ostende

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Ein Abenteuer in Ostende

(veröffentlicht am 26. August 1847 in der Deutschen Brüsseler Zeitung Nr. 68)

Heiß war’s. Zwanzig Grad Réaumur.
Gottergeben und durstig fuhr ich von Brüssel
Hinab nach Ostende, das kühle, erfrischende
Ungeheuer, das Meer zu umarmen
Voll lustiger Inbrunst.

Rasch hinrollte der Wagen und sieh, als
Westlich sproßten empor im Gewölk des
Abends flammende Rosen, da stand ich
Splitternackt schon am Ufer und purzelte
Jubelnd hinab in die salzige Sündflut.

“Sei gegrüßt, mein Ozean! Gerad so
Prächtig strahlst du wie einst, als Europa,
Zeus’, des unsterblichen Gottes, erhabne
Mätresse dich plätschernd berührt’ mit des
Füßchens rötlicher Spitze.

Zierlich trug sie der göttliche Stier, die
Schöne, und Nereiden, halb nackt, auf Delphinen
Reitend, folgten dem Zug, Tritonen und
Knaben mit Fackeln – und Blumen
Streute der Liebe Göttin über die Braut aus.

Fort von Phönizien nach Kreta ging ihre
Fahrt durch die tiefblaue Flut; es
Ruhten die Winde, und Zephir nur
Machte sich auf und säuselte leis um des
Altertums lieblichste Schenkel. –

Längst vorüber ist das; es fuhren hinab die
Reizenden Heldinnen – nieder zum Styx und zum
Teufel oder wurden gar Christinnen, ach! und
Weinen sollte man fast, wenn nicht lächelnd herauf-
Geblühet ein neues Geschlecht uns!

Sieh, von Norden und Süden zogen sie her, die
Lilienbusigen, lockenumwallten, die
Nymphen der Jetztzeit. Manche Europen
Ähnlich an trefflichem Wuchse, und selig
Sinken zum Bade sie all in den Schoß dir.

Rasch von den Schultern schleudert den Casimir-
Shawl eine adlernäsige Fränzin.
Stolz erhebt ihren großen Fuß Britanniens
Tochter, und schüchtern zieht ihren Unterrock aus
Die Frau eines östlich-preuß’schen Geheimrats.

Juchtenduftende Russinnen nahn und
Flanderns kernige Kinder – ja
Wahrlich – wär ich ein Stier, wie Zeus die Europa
Trüg ich sie alle mit freundlichem
Brüllen hinab zur diktetischen Höhle!

Trüg sie, daß wild vor Freude empor du
Schäumen solltest, uralter verliebter
Ozean, schüttelnd die Häupter der Welle und
Zitternd vor Wollust von
Pol zu Pole.” – Da schwieg ich.

Dunkler ward’s. Es erlosch des
Tags erquickliches Licht, und toll wie
Einst Polyphem, der geblendete Riese,
Tobte das Meer durch die Nacht und
Brauste mir folgende Antwort:

“Törichter! daß du antike Wunder mir
Zerrst in den Jammer der Gegenwart!
Ach! was helfen mir alle die zierlichen
Weiber, da – o des Malheurs! – auch der Männer
Geschmeiß mir jählings über den Hals kommt.

Sieh, noch gestern sank mit so
Unanständigem Wanst in die Flut mir der
Feiste Minister, der Duchâtel, daß – o
Zeus Kronion! – sogar die Meerschweine purpurn
Erglühten vor Scham und keuschem Entsetzen.

Waschen mußt ich sodann viel Dürres, den
Schenkel von Donnersquark, ach, und
Fort bis zur Südsee entfloh da, aus
Angst vor dem schrecklichen Manne, auch der
Tiefe hochherzigster Stockfisch!

Aber vor allem empörte mich Kolb, der
Augsburger Allergemeinsten gemeiner
Skribent, der mit Kote verpestet die Flut, daß
All meine Walfische schmählich krepiert bis
Hinauf in den eisigsten Norden.

Schande, o Schande! Doch ach, was
Hilft’s, daß ich klage und jammre, was hilft’s, daß
Also ich rede mit dir, du naseweiser Poet, du
Landesflüchtiger! Geh, sonst setz ich aufs Fell dir
Kolb und den Henckel und Duchâtel.

Geh! und kirre mich nicht, mich alten
Mann, vor dem Schlafengehn noch mit
Allerlei fleischlichem Unsinn. – Geh, sonst
Schmeiß ich dich, daß du zerschellst am
Badschiff oder am Leuchtturm!

Marsch!” – So brüllte der Ozean. Wilder
Kochte empor die Flut, und
Rings jetzt fühlt ich gefaßt mich und
Prallte ans Land zwischen Muscheln und Sand und
Weiß nicht, was weiter geschehen.

Heiter erwacht ich indes im schönen
Hôtel d’Allemagne. Es labte mit goldnem
Weine der Wirt mich, und Kellnerinnen,
Lieblich wie Huris, wuschen mir lind die olympische
Stirn mit Eau de Cologne.