»Die Liebe« XVIII

By 31. März 2021April 17th, 2022Archiv
aus: Jugendgedichte (1841-1843)

XVIII

Wo in den Buchen säuselt der Wind
Hoch auf den sieben Bergen hie,
Da wohnte das feine Bauernkind,
Die schöne Mimilie.

Da tanzte sie durch den lichten Wald
Und ließ die braunen Haare walln,
Und sechzehn Jahre wurde sie alt
Wohl unter Rosen und Nachtigalln.

Sie blickte keck in die Wolken hinein,
Da jauchzten die Falken mit wildem Schrei!
Sie blickte hinab in den grünen Rhein:
Und stolzer rollten die Wogen vorbei!

Und stolz auf die rheinische Dirne sah
Der Winzer im Feld und der Ferge im Kahn,
Und von Königswinter bis Honnef, da
Hat manch armen Jungen sie’s angetan.

Und die Kunde drang durch das ganze Land,
Und jeder wollte die Schöne sehn.
Es ließ der Student den staub’gen Foliant
Und kam und konnte nicht widerstehn

Und vergaß den Horaz und den alten Homer
Und dachte an sie nur und nur an sie! –
Und zog durch die sieben Berge daher
Und lobte die schöne Mimilie. –

0 Lust, o Liebe im frohen Mai,
Wie ist so schnell dein Zauber verblüht!
Es hallten die Berge von Wehgeschrei,
Als ach die schönste der Rosen schied.

Da hörte der Falke zu jauchzen auf,
Und die Blumen starben entblättert all,
Dumpf brauste der Rhein den alten Lauf,
Und es schwieg im Walde die Nachtigall.

Und der Winzer sah ernst in die Nacht hinaus,
Und es sanken dem Fergen die guten Händ,
Und zu Bonn im hochgegiebelten Haus
Saß traurig wieder manch treuer Student.

aus: Georg Weerth »Die Liebe«, Gedichte I-XXV, 1841