»Der Wein« XIX

By 12. Juni 2021April 17th, 2022Archiv

XIX

Gott grüß dich, alte Schenke,
Mit deinem runden Schild!
O gib ein gut Getränke,
Das meinen Kummer stillt.
O gib vom selben Weine,
den ich in Lust und Not
Wohl trank beim Abendscheine
Mit Freunden, die nun tot.

Da draußen stand die Erle
Und schlug ans Fenster leis;
Hier innen stieg die Perle
Im Glase silberweiß.
Und ringsumher Gesichter,
So lieb und wohlbekannt:
Der alte Friedensrichter
Saß oben an der Wand

In rotgeblümter Weste –
Ich mein, ich säh ihn noch,
Wenn er die andren Gäste
So fürchterlich belog,
Wenn er vom letzten Kriege
Erzählte wie ein Buch
Und fluchend nach ‘ner Fliege
Mit beiden Fäusten schlug.

Ganz nah an seiner Seite,
Die Brille auf der Nas,
Der wunderbar gescheite
Magister loci saß.
In Heidelberg studiert’ er
Philosophie und Jus,
Und sonderlich zitiert’ er
Den Jobs und Tacitus.

Es lärmt’ und schrie so heiser
Der dünne Advokat,
Die Kön’ge und die Kaiser
In Acht und Bann er tat.
Mit seinem Ziegenhainer
Hätt er sie gern entthront,
Auch hat den Nierensteiner
Er nimmermehr geschont.

Er trank – nur einer fand sich,
Der schärfer trank als er:
Trank er der Schoppen zwanzig –
Der Küster trank noch mehr!
Mit würdevollen Mienen
Sah er ins Glas hinein,
Wie Schimmer von Rubinen
War seiner Wangen Schein,

Und seine Stimme tönte
So schauerlichen Baß,
Als ob im Keller dröhnte
Ein altes Mutterfaß,
Als ob die Orgeln brummten
In aller Christenheit –
Wir staunten und verstummten
Für eine lange Zeit.

Und jedem Herzen bangte,
Bis daß der Musikant
Die braune Geige langte
Hernieder von der Wand.
Er strich die glatten Saiten,
Er strich sie hell und rein;
Wir täten ihn begleiten
Mit einem Chorus fein.

So war es einst! – Gekommen
Ist nun der Winter kalt,
Hat Blum’ und Blut genommen
Aus Wiesen, Berg und Wald.
Verschwunden und vergessen
Sind, ach, für immerdar,
Die fröhlich hier gesessen
Manch langes liebes Jahr;

Die einst in Lust geschwommen
Und großer Freudigkeit,
Wenn da ins Land gekommen
Die Krammetsvögelzeit;
Die im gewölbten Saale
Erhuben Klang und Sang,
Wenn man zum ersten Male
Den neuen Weißen trank;

Die sich zusammenfanden
An Sankt Martini Tag,
Wenn man in allen Landen
Die Gans zu essen pflag;
Die nie nach Hause kamen,
Als wenn sie still entzückt
Und auch in Gottes Namen
Einen Rausch darauf gedrückt.

Was mag es doch bedeuten,
Mein Herz ist so voll Gram?
Die Abendglocken läuten
Da draußen wundersam.
Ich sah den Mond erscheinen,
Der durch die Wolken bricht,
Und weiß nicht, soll ich weinen,
Oder wein ich lieber nicht?

Drum hurtig zugegossen!
Ein überschäumend Glas:
Den seligen Genossen,
Euch Toten bring ich das!
Bis in die Gräber rauschet
Wohl dieser volle Klang:
Ihr fahrt empor und lauschet
Und winket: »Habe Dank!«